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Eine Frau steht in einer Telefonzelle, redet heftig, faßt sich an den Kopf, lacht und zögert. Der Mann, der sie heimlich beobachtet, wird erst viel später verstehen, daß die Frau mit sich selbst spricht: Sie hat ihren eigenen Anrufbeantworter angerufen. Dem Band erzählt sie, was sie an diesem Tag erlebt hat. Eine aus der Bahn Geworfene ist diese Anna Weller, eine, die nach ihrer Scheidung die Welt nicht mehr versteht.
Das aber macht die verwirrte Anna auch gefährlich und unberechenbar. Hat sie einen Mann umgebracht? Vertuscht sie einen grausamen Mord? Der Mann, der sie beobachtet, ist Kommissar. Er sucht sie zuerst als Zeugin, dann verdächtigt er sie - und dann verliebt er sich in sie, denn auch sein Leben zerbricht gerade in tausend Scherben.
»Solo für Klarinette« ist eigentlich ein Duett von zwei tieftraurigen, gescheiterten Seelen, aufgeführt von zwei großen deutschen Schauspielern. Ein rußig schwarzer Berlin-Blues, eine Love-Story, die keine Chance gegen die Verzweiflung und die Gewalt hat. Es ist der Versuch eines deutschen Films, die ganz große Leidenschaft zu stemmen, alles zu riskieren.
Vermutlich ist Corinna Harfouch, 43, die einzige, die sich in einer solchen Partie gegen die pralle, brachiale Spielkraft von Götz George behaupten kann. Auf sein Pathos reagiert sie mit Understatement. Er spielt mit allen Muskeln, sie mit Kopf und Nerven. Während er schnaubt, schwitzt, das Bild beherrschen will, entzieht sie sich, bis die Zuschauer auf die Suche nach ihr gehen. Der Mann im Licht, die Frau im Schatten. Das ist die Macht der Harfouch: Man will ihr immer zusehen, gerade weil sie so wenig preisgibt. Sie läßt weg. Sie schweigt. Sie hält sich bedeckt.
Daß sie sich immer Frauenrollen mit einem Geheimnis aussuche, sei »Quatsch«, sagt Corinna Harfouch: »Ich weiß einfach, daß jede Frau ein Geheimnis hat.« Dagegen, daß das Rätsel der Anna Weller am Ende gelüftet wird, weil das Genre es verlangt, hat sie sich vergeblich gewehrt (siehe SPIEGEL-Gespräch Seite 238). Trotzdem: Der Film, gedreht von Nico Hofmann ("Der Sandmann"), hält die Beziehung zwischen dem Kommissar und der Verdächtigen lange in der Schwebe. Er traut sich viel, wenn auch am Ende nicht genug.
Seit mehr als zehn Jahren ist Corinna Harfouch ein Star, aber das wissen im Westen nicht viele. Im Westen kennen die Zuschauer sie allenfalls aus der Fernsehreihe »Unser Lehrer Doktor Specht«, aus dem Mauerdrama »Das Versprechen« (1993), der Samenspender-Farce »Irren ist männlich« (1995) und aus ihren großen Berliner Theaterauftritten der letzten Jahre, dem Harras in »Des Teufels General« und der Eva Braun in »Eva - Hitlers Geliebte«.
Im Westen tun die Kritiker so, als hätten erst sie diese »preußische Diva« entdeckt, und geraten ins Taumeln angesichts ihres herben Charmes, ihrer Stimme, die immer mehr verspricht, als die Harfouch halten will, und ihrer strengen, schmalen, skeptischen Person.
Aber Corinna Harfouch kam nicht aus dem Nirgendwo. Sie kam aus dem Osten. Dort war sie seit Mitte der achtziger Jahre ein Defa-Star mit großen Parts: der jungen Soldatenfrau in Roland Gräfs Weltkriegsdrama »Das Haus am Fluß« (1986), der Theaterdiva in dem antifaschistischen Melodram »Die Schauspielerin« (1988) und der Ehefrau zwischen zwei Männern im Historienfilm »Treffen in Travers« (1989), für die sie den Darstellerpreis beim nationalen Festival der DDR gewann. Fast jede Ausgabe der ostdeutschen Fachzeitschrift »Filmspiegel« enthielt Fotos von Corinna Harfouch; es gab sogar Starposter von ihr.
Und das alles betraf nur den Film, den die Harfouch nie so ernst genommen hat wie das Theater, denn »Filmen artet selten in wirkliche Arbeit aus«. 1983, da war sie keine 30 und hatte schon die Lady Macbeth gespielt, stieß sie zum Berliner Ensemble. Es wurde ihr Haus, das ganze Jahrzehnt hindurch, und der Dramatiker und Regisseur Heiner Müller war derjenige, der ihre Arbeit und ihre Ästhetik prägte. Und auch am Theater wurde sie ein Star.
Diese Geschichte, diese Karriere wurde ihr, wie so vielen anderen DDR-Schauspielern, durch den Zusammenbruch des sozialistischen Staats geraubt. Sie wurde zum Opfer des Mauerfalls. Es war ein doppelter Verlust: Als auf einmal überall Westen war, galten die DDR-Leistungen nichts mehr, jedenfalls nicht unter den Westdeutschen, die jetzt das Sagen hatten. Der Status war weg. Und, was für Corinna Harfouch wesentlich schlimmer war, auch ihr Weltbild war futsch: der Sinn ihrer Arbeit, der Sinn des Theaters.
Daß sie praktisch die einzige Schauspielerin ist, die sich aus diesem Verlust eine zweite Star-Karriere geschaffen hat, spricht für ihre Zähigkeit, ihre Begabung, ihre Vielseitigkeit und ihre Hingabe ans Spielen - und für einen rätselhaften Gang der Geschichte, den sie wohl selbst nicht erklären kann. Denn sie hat sich lange dagegen gewehrt, ihren Frieden mit dem neuen »Gesamtdeutschland« zu schließen. Als Ostdeutsche kritisierte sie öffentlich Margarethe von Trottas Film »Das Versprechen«, in dem sie selbst eine Hauptrolle spielte, weil er eine »absolute Negativwertung der DDR« liefere. Das gab einen Eklat. Schließlich sollen Schauspieler nicht an Filmen herummäkeln, sondern Werbung für sie machen.
Jahrelang hat die Harfouch (nicht immer gute) Filme gedreht, die um die DDR und die Wunde der Teilung kreisen. In »Zwischen Pankow und Zehlendorf« (1991) war sie die Ost-Mutter eines musikalischen Wunderkindes, die an den Sozialismus glaubt, sich abrackert, aber ihren Nachwuchs nicht ausreichend unterstützen kann: Das kann nur die West-Oma. In »Der Tangospieler« (1991) stellte sie die Gefährtin eines politischen Gefangenen in der DDR der ausgehenden sechziger Jahre dar, der nach der Entlassung mit dem System nicht mehr zurechtkommt. In »Goldstaub« (1993) spielte sie eine Ost-Berlinerin, die gegen Ende der DDR-Ära erfährt, daß ihr Vater ein wichtiger Mann bei der Stasi war. Und bald folgt »Bis zum Horizont und weiter«, in dem sie eine West-Richterin spielt, die in den Osten entführt wird und erst dort das wahre Leben kennenlernt.
Spielen, um aufzuarbeiten, um zu begreifen. »Die DDR ist mein Lebensthema, ganz klar«, sagt Corinna Harfouch. Das Gespräch mit Westlern findet sie bis heute schwierig: »Man kann nicht so reden, wie wir das untereinander tun, sehr hart und sehr klar, weil man immer gleich in eine Erklärungs- und Verteidigungshaltung rutscht.« Aber sie redet. Sie will ja erklären. Sie will nicht in Ostalgie verfallen. Und sie spielt und dreht jetzt im Westen, derzeit Bernd Eichingers Romanverfilmung »Der große Bagarozy« an der Seite des Kölners Til Schweiger.
Nur das mit dem Werben für ihre Filme, das fällt ihr immer noch schwer. Dazu ist sie zu skeptisch, zu kritisch und zu ehrlich. Susanne Weingarten